Bereits im Gründungsvertrag der europäischen Währungsunion (Maastricht-Vertrag oder EWU) ist das Scheitern des Euro angelegt. Die Gründungsväter hatten wohl nur eine schemenhafte Vorstellung von der Zusammensetzung eines optimalen Währungsraumes. Wesentlich aus deren Sicht waren 4 Stabilitätskriterien (Haushalt, Preise, Wechselkurs, Zinsen) um sich für den Beitritt zu qualifizieren. Abgesehen von der kreativen Buchführung, die manchem Beitrittsland behilflich war, ist festzustellen, dass der viel wichtigere Punkt, nämlich einer abgestimmten Konjunkturpolitik nur eine untergeordnete Rolle spielte.
Die heute gern als Dogma vorangestellten Haushaltskriterien (3% Neuverschuldung bei 60% Staatschuldenquote) haben keinen inneren Zusammenhang und sind für eine erfolgreiche Währungsunion nahezu uninteressant. Würde ein Mitgliedsland sowohl 3% Neuverschuldung, als auch 60% maximale Schuldenquote anstreben, so wäre ein nominelles Wachstum von 5% p.a. erforderlich. Bei einer Deflationstendenz innerhalb der EWU ein hoffnungsloses Unterfangen.
Spannend ist zudem, wie diese beiden Kriterien in den Vertrag geraten sind. 60% Neuverschuldungsquote hat man eingetragen, weil der damalige Verschuldungsdurchschnitt in 1992 bei ca. 60% lag – ökonomische Grundlage dafür – Fehlanzeige! Die 3% Neuverschuldung sind in den Vertrag geraten, weil Mitterand Anfang der Achtziger in den französischen Haushalt, ebenfalls ohne ökonomische Begründung, ein solches Kriterium hineingeschrieben hatte. Gute Idee, meinten die Anderen, machen wir auch. Alleine diese Vorgehensweise zeigt, welcher ökonomische Unverstand dem Euro zugrunde lag.
Voraussetzung einer funktionierenden Währungsunion ist vielmehr eine abgestimmte Konjunkturpolitik. Diese kann theoretisch nach sehr einfachen Kriterien erfolgen. Man einigt sich auf ein gemeinsames Inflationsziel (z.B. 2%) und ist dann in der Lage die Löhne entsprechend der Produktivität zu erhöhen. Bei einer Produktivität von 1% können die Löhne somit um 3% steigen. Hat ein Land 2% Produktivität, können Löhne um 4% nominal angehoben werden (Angleichung der Lohnstückkosten). So lassen sich auch unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen innerhalb einer Währungsunion managen. Praktisch wird dies etwas schwieriger, aber wenn die Grundorientierung fehlt, kann die Währungsunion nie gelingen.
Die erheblichen Ungleichgewichte in Europa sind jedoch wesentlich entstanden, weil das größte europäische Land Deutschland das Gegenteil getan hat und mit Lohndumping seine europäischen Wettbewerber niederkonkurriert hat. Mit den Exporterfolgen hat man auch die Arbeitslosigkeit in die Partnerländer der EWU exportiert. Außerhalb der EWU hätte sich die deutsche Währung in diesem Falle kräftig aufgewertet und die der Südeuropäer, die Ihre Löhne viel zu hoch gesetzt hatten, hätten abwerten müssen. Derartige Ungleichgewichte wären bei flexiblen Wechselkursen wesentlich unproblematischer zu managen. Innerhalb einer Währungsunion führt ein solches Verhalten zur sicheren Zerstörung derselben.
EU-Fiskalpakt – der schleichende Todeskuss für die EWU
Den Todeskuss für die Währungsunion wurde durch den EU-Fiskalpakt (offiziell: EU–Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion oder SKS genannt) wesentlich eingeleitet. Er wurde außer von UK und Tschechien von allen anderen damaligen EU-Mitgliedern in 2012 unterzeichnet. Seine Wirkungen entwickeln sich offensichtlich entgegengesetzt zu den Zielen.
Zunächst lehnt sich der Fiskalpakt von der Grundausrichtung der deutschen Schuldenbremse an und man hat vereinbart, dass das strukturelle Haushaltsdefizit 0,5% des BIP des jeweiligen Landes nicht überschreiten darf. Wir haben zuletzt bereits dargelegt, dass dieses Ansinnen auf Dauer und für alle Länder theoretisch und praktisch unmöglich umzusetzen ist. Dies gebietet schon die buchhalterische Logik, somit reicht die Beherrschung der Grundrechenarten, um diesen Aspekt zu verstehen.
Das Haushaltskriterium „Strukturelles Defizit“ weist zudem zwei schwere technische Fehler auf. Zunächst wird unkritisch des Maastricht Defizitkriterium, anstatt, wie der IWF in seiner „fiscal guidance“ darlegt, das Primärdefizit (Defizit ohne Zinszahlung) herangezogen. Zum anderen ist das Konstrukt „Strukturelles Defizit“ theoretischer Unsinn, weil nicht quantifizierbar ist, was strukturell und was zyklisch ist und weil eine statische Analyse auf einen dynamischen Prozess aufsetzt. Im Ergebnis führt die Methode zu einer prozyklischen Wirtschaftspolitik.
Weil Haushalte, die das Kriterium nicht einhalten, von der nicht demokratisch gewählten EU Kommission abgelehnt werden können, ist die demokratische Willensbildung innerhalb der EU-Staaten in höchstem Maße gefährdet.
Der britische Ökonom John Weeks fast das Dilemma wie folgt zusammen: „In einer Marktwirtschaft gibt es Zyklen der Rezession und der Expansion. In Rezessionen leidet die Volkswirtschaft unter Haushaltsdefiziten, denn sinkende oder schwache Produktion führt zu sinkenden oder schwachen Einkommen. Solche Bedingungen stammen typischerweise aus einem Rückgang der privaten Investitionen oder des Exports. Volkswirtschaften überwinden die Rezession am besten, wenn der öffentliche Sektor seine Möglichkeiten auf der Ausgabenseite einsetzt, um die unzureichende private Nachfrage auszugleichen.
Der Fiskalpakt verbietet rechtlich den Einsatz dieser effektiven antizyklischen Fiskalpolitik. Er zwingt die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie vor 200 Jahren, als mit dem Aderlass die Gesundheit des Kranken wiederhergestellt werden sollte. Der Vertrag ist so gestaltet, dass der europäische Kontinent fortwährend in einem Zustand der Stagnation verharrt.“
Historischer Irrtum – die falsch verstandene Wettbewerbsfähigkeit
Der Gründungsgedanke Europas war und ist es eine Kooperation von Nationen zum Nutzen aller auszugestalten. Wenn nun ohne Unterlass das Konzept der gegenseitigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit beschworen wird, so wirkt dies paradox. Es handelt sich dabei um ein relatives Konzept, weil der Vorteil der einen Nation gleichzeitig der Nachteil der anderen sein muss. Am Ende steht ein Nullsummenspiel. Die mikroökonomisch begründeten Maßnahmen (Sparen hier, Kürzen dort, Löhne runter da) wirken makroökonomisch als „Rat Race“ in den Abgrund. Richtig dagegen wäre es die Produktivität zu steigern, was dringend Investitionen von Staat und Unternehmen erfordert. Hiervon profitieren alle, denn dabei handelt es sich um ein absolutes Konzept. Das intellektuelle Unverständnis darüber, dass wirtschaftspolitische Ansätze wie die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Nationen nur trennend, nicht vereinigend wirken, ist nur schwer zu akzeptieren.
Fazit – Die Hoffnung stirbt zuletzt
Europa ist aufgefordert wieder zurückzukehren von der wettbewerbsorientierten (Lohndumping) zur produktivitätsorientierten Lohnpolitik. Gerade Deutschland hat hier sehr hohen Nachholbedarf. Über diesen Weg kann die Nachfrage gesteigert werden, werden Unternehmen wieder investieren statt zu sparen, werden die Primäreinkommen der Menschen wieder steigen, wird die Verteilungsungerechtigkeit gelindert und der nutzlose Sparüberschuss (der sich nicht selten in Panama oder Jersey tummelt) in der Welt abgebaut.
Nur reale Investitionen generieren Wachstum und in diesem Falle werden auch wieder die Zinsen steigen und Aktienwerte reale Erträge erzielen. Ohne Investitionsanreiz der Unternehmen und ohne Investitionsbereitschaft des Staates (trotz Nullzins) ist der Lauf in Rezession, Depression und Deflation nicht aufzuhalten. Und dies kann gleichbedeutend sein mit der Gefahr eines Zerfalls von Euro und der Europäischen Union. Deutschland und Europa brauchen in ihrer Wirtschaftspolitik eine 180° Drehung.
Sehr gut geschriebener und interessanter Artikel.