Allzu schlichte Gemüter, nicht selten anzutreffen im politischen Berlin, halten Mario Draghi für den Alleinschuldigen, wenn es niedrige Zinsen zu beklagen gilt. Doch der Trend zum Zinsverfall begann bereits vor fast 40 Jahren mit der damaligen ökonomischen Überzeugung, dass mittels Deregulierung der Märkte und insbesondere der Finanzmärkte ein schuldenfreier Wohlstandsboom zu erreichen sei. Diese Überzeugung stellte sich als verheerender Irrtum heraus.
In Deutschland fielen die Zinsen von über zehn Prozent – begleitet von teilweise heftigen Schwankungen, etwa im Zuge der deutschen Einheit – auf unter null bis zum Jahr 2016. Aktuell liegt das Niveau nur knapp höher.
Warum kippte der Zinstrend damals nach unten? Nun – alles Geld, welches in unserem Wirtschaftssystem verfügbar ist, entsteht durch Kredit. Und Schulden sind das unverzichtbare Schmiermittel für Investition, Wachstum, Entwicklung und Wohlstand. Allerdings fördert nicht jeder Kredit das wirtschaftliche Wachstum?
Nur realwirtschaftliche Investitionen durch Unternehmen (etwa in Maschinen, Technologie) und Staat (Infrastruktur) generieren Wirtschaftswachstum. Finanzkredite hingegen erzeugen keinen gesamtwirtschaftlichen Nutzen und keinen Wachstumseffekt.
Mit der Liberalisierung der Finanzmärkte Anfang der 80er Jahre begann der Boom der Finanzkreditausweitung (schlechte Schulden). Diese entwickelten sich mit erheblich höherer Geschwindigkeit gegenüber realwirtschaftlichen Krediten (gute Schulden). Dieser Trend wurde durch die Finanzkrise in 2008 nur kurz unterbrochen (grüne Kurve). Der realwirtschaftlich nicht gedeckte Kreditboom (rotes Feld) ist die Ursache der Finanzkrisen und Kern aller wirtschaftlichen Probleme.
Zentralbanken haben durchaus die Möglichkeit dem Finanzkreditboom entgegenzuwirken. So könnten Lenkungsmaßnahmen ergriffen werden, um die nicht realwirtschaftliche Kreditvergabe zu beschränken. Dafür gibt es derzeit jedoch keinerlei Hinweise, denn das ist nicht im Interesse der mächtigen Bankenlobby.
Unter diesen Bedingungen können die Zinsen auf absehbare Zeit kaum die Range zwischen 0 bis 2, höchstens 3% verlassen. Zinshöhen früherer Dekaden, etwa höher als 5%, dürften kaum mehr zu erreichen sein.
Wer jetzt wieder den geschröpften Sparer bedauert, sollte dabei nicht übersehen, dass der weit überwiegende Teil der Bundesbürger vom Niedrigzins profitiert. Direkt zeigt sich dies etwa beim Häuslebauer und indirekt dadurch, dass der Staat seit 2008 rund 300 Mrd. € an Zinsen gespart hat. Zudem muss konstatiert werden, dass nahezu jedes Produkt am Markt mit einem Darlehen vorfinanziert wird. Daraus resultieren zusätzliche preisdämpfende Effekte in nennenswerter Höhe und bescheren den Konsumenten preisgünstigere Produkte.