Nicht nur, aber insbesondere die Menschen in Südeuropa nehmen Deutschland zunehmend als Hegemon war, der ihnen nicht helfen, sondern die Kehle zuschnüren möchte. Dabei ist es nicht relevant, ob diese Diagnose richtig oder falsch ist. Die Wahrnehmung zeigt uns die politische Wirkung an. Man darf sich dann nicht wirklich wundern, wenn in Griechenland eine tief korrumpierte Kleptokratie aus ND und PASOK von den Menschen aus dem Amt geworfen wird und sich diese Tendenz auch andernorts an die politischen Ränder verstärkt.
Hierzulande sieht man die Sache ganz anders. Die Lust angeblich „faule Griechen“ weiter durchzufüttern ist nicht sehr ausgeprägt. Dass die Rettungsgelder für Griechenland zu 90% die europäischen Banken und Vermögensbesitzer geschont haben und nie in Griechenland angekommen sind, sollte dabei aber nicht außer Acht gelassen werden.
Und ja, Griechenland ist selbstverständlich überschuldet, die institutionellen griechischen Gegebenheiten (vulgo: Vetternwirtschaft) haben dazu sicher beigetragen. Welchen Anteil Deutschland an der griechischen Situation hat, beleuchten wir bei anderer Gelegenheit.
Doch jenseits der „Nettigkeiten“, die in den letzten Wochen zwischen Deutschland und Griechenland ausgetauscht wurden, versuchen wir eine nüchterne Bestandsaufnahme der ökonomischen Konsequenzen, welche die Troika-Politik im Auftrag der EU-Kommission bei den Krisenländern bewirkt hat.
Ergebnisse der Sparpolitik
Die Basis der durchgeführten Politik beruht auf der neoklassische Wirtschaftstheorie, deren entscheidende Implikation ist, dass der Markt alles zum Besten regelt und staatliche Eingriffe tunlichst zu vermeiden seien.
Das Kernmodell dieser herrschenden makroökonomischen Lehre kann kurzgefasst wie folgt beschrieben werden:
- Der Mensch handelt rational (Homo Oeconomicus)
- Alle Marktteilnehmer haben vollständige Information
- Das Produktionspotenzial ist vollausgelastet
- Es herrscht Vollbeschäftigung
- Der Finanzmarkt ist irrelevant
Auch der ökonomische Laie ahnt, dass diese Beschreibung des herangezogenen Theoriemodells nicht mal rudimentäre Ähnlichkeiten zur Realität aufweist.
Natürlich wissen dies auch die neoklassischen Ökonomen. Sie glauben aber dennoch, aus ihrem Grundmodell Ableitungen für die Wirtschaftspolitik ermitteln zu können. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob sich die avisierten Ziele dieser Ableitungen empirisch belegen lassen.
Theoretische Grundlage der Troika-Politik im Speziellen ist das sog. „Ricardianische Äquivalenztheorem“. Das vom englischen Ökonomen David Ricardo (1772 – 1823) entwickelte Theorem wurde 1974 vom Amerikaner Robert Barro neu aufgegriffen und als Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition verfeinert.
Es besagt, dass staatliche Defizite immer kontraproduktiv seien und daher ein Abbau dieser Defizite – selbst inmitten einer Rezession – nicht nur keinen Schaden anrichte, sondern ganz im Gegenteil gut für die Wirtschaft sei. Begründung: In Erwartung niedrigerer Steuern würden nun die Privaten ihre Ausgaben äquivalent erhöhen.
Gleich beim ersten praktischen Test fiel Barros Theorie durch. Nach Reagans ab 1981 begonnenen Ausgaben- und Steuersenkungsprogrammen (die laut Theorem unweigerlich zu späteren Steuererhöhungen führen), hätte die Sparquote in USA steigen müssen. Tatsächlich sank sie von 9% 1980 auf 5% in 1991.
Es überrascht daher nicht, dass trotz vielfacher empirischer Untersuchungen bislang keine Evidenz für das Äquivalenztheorem festgestellt wurde.
Dennoch ist dieses nie empirisch belegte Theorem offizielle Grundlage der Politik der Europäischen Kommission und übrigens auch Grundlage der Arbeiten von Reinhart/Rogoff zu den Wirkungen von Staats-verschuldung und Wachstum. Diese Arbeiten wiederum haben die EU-Kommission wesentlich beeinflusst.
Es ist somit folgerichtig, dass die Ergebnisse der Troika-Politik ausgesprochen niederschmetternd sind und sie entbehren bislang jeder Rechtfertigung.
Das Theoriemodell ging von der im nachfolgenden Diagramm vorgestellten Entwicklung des Sozialproduktes z.B. für Griechenland aus (blaue Kurve). Die Realität ist in der roten Kurve aufgezeigt.
Jahr für Jahr behaupteten die Verantwortlichen der Austeritätspolitik, dass nun die Wende komme und das Gröbste geschafft sei. Jedes Jahr mussten die Zahlen wieder korrigiert werden. Noch immer stellt sich niemand die Frage, ob die theoretische Basis der Maßnahmen das Problem nicht eher verschärft, statt es zu lösen.
Das Grundproblem dieser Ökonomieschule ist deren mikroökonomische Basierung (vulgo: schwäbische Hausfrau) von makroökonomischen Problemen. Dies führt nahezu ausnahmslos zu falschen Entscheidungen.
Eigentlich müssten Ökonomen spätestens nach dem unseligen Wirken von Reichskanzler Brüning (1930-32) wissen, dass eine ausgeprägte Austeritätspolitik nicht nur sehr negative wirtschaftliche, sondern auch sehr unangenehme politische Folgen haben kann.
Natürlich kommt jeder wirtschaftliche Absturz irgendwann zum Stillstand und deshalb werden alle Euro-Krisenländer schließlich auch wieder wachsen. Aber die ökonomische Verwüstung, die bis dahin in diesen Ländern angerichtet sein wird, dürfte noch Jahrzehnte nachwirken.